Jan, du fehlst uns!

Erinnerungen an die Zeit mit Jan

21. November 2019

Nach einem Jahr (3) – ...und nach vorne

[Der Jahrestag – Teil 3]

In einem Moment erinnerte ich mich wieder daran, wie ich einige Tage nach Jans Tod ausgesprochen habe: „Ich lasse dich gehen!“ Natürlich war er zu diesem Zeitpunkt ja längst gegangen, aber die letzte, klare Akzeptanz hatte ich noch nicht. Ich weiß noch, wie es auch ein Stück Befreiung war, das bewusst wahrzunehmen, zu realisieren und auszusprechen.

„Ich lasse dich gehen!“ hatte für mich zuallererst die Bedeutung, mein eigenes Festhalten aufzugeben und mich damit auch dieser unveränderlichen Tatsache zu beugen. Diese Art Trance, in der wir uns in den ersten Tagen befunden haben, hatte auch damit zu tun, dass wir es nicht mit allen Teilen unseres Fühlens und Denkens wahrhaben wollten oder konnten. Mein zuvor gewohntes Lebensgefühl als Vater dreier Kinder und diese neue Realität als verwaister Vater meines ältesten Sohnes passten am Anfang einfach nicht zusammen. Ich glaube, diese Akzeptanz der Wirklichkeit war der Beginn dieses langen Weges, um Vergangenheit und Gegenwart, Trauer und Alltag wieder zu einem zu verschmelzen.

„Ich lasse dich gehen!“ beinhaltet aber auch die andere Seite, nämlich Jans neue Realität, dass er jetzt angekommen ist. Als damals, als mir das vor knapp einem Jahr erstmals so wirklich bewusst wurde, hat mir dieser Gedanke Trost und Ruhe geschenkt.

Jetzt gerade stand mir dieser Gedanke wieder so ganz klar vor Augen. Ja, die Vergangenheit ist vorbei und wird nicht wiederkommen; Jan ist von dieser Erde weggegangen. Aber er lebt und das viel besser als vorher. Ich hatte das Gefühl, dass Gott mir noch mal einen kleinen Blick durch den Vorhang gönnt. Nicht nur das grundsätzliche Wissen, dass Jan da schon irgendwo in einem abstrakten Himmel ist. Vielmehr konnte ich innerlich sehen, dass er wirklich lebendig und aktiv ist, dass es ihm besser geht als jemals zuvor und er seine Interessen und Fähigkeiten, seine Persönlichkeit ohne diese ganzen Einschränkungen ausleben kann.
Ich hatte das innere Bild von einer kurzen Umarmung mit Jan. Ich konnte ihn fast spüren und hatte das Gefühl, er wollte mit damit zeigen, dass alles okay ist. Er wirkte gelöst, ganz aufrecht und völlig mit sich im Reinen. Ich habe ihn ja nicht wirklich gesehen, ich glaube aber, er hatte dieses leichte verschmitzten Grinsen um seine Mundwinkel.

Das war der Moment, in dem endlich auch meine Tränen gekommen sind. Aber es waren gar keine Tränen von Trauer und Verlust, sondern von Freude. Es hat mich wirklich tief berührt, so klar und lebendig an Jans neuer Realität teilhaben zu dürfen. Es ist wirklich alles gut. Nicht nur so, wie man das immer so sagt, „alles gut“. Sondern es ist wirklich alles gut, nichts ist mehr nicht gut.

Wow, das hat mich überwältigt, damit hatte ich tatsächlich nicht gerechnet. Ich wollte mich ja anlässlich Jans Todestages dem Verlust und der Trauer stellen. Stattdessen werde ich mit so einem besonderen Lebenszeichen von Jan beschenkt. Damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Hört sich spooky an? Mir egal, ist so!

Ihr, die ihr mich so geliebt habt,
seht nicht auf das Leben, das ich beendet habe,
sondern auf das, welches ich beginne.

Erinnert ihr euch noch an dieses Zitat von Aurelius Augustus?

Heute ist gar nicht nur Jans Todestag, sondern auch und vor allem sein Lebenstag!